Ursula Hochuli Freund – Kooperative soziale Diagnostik: Wer leistet hier was?
Soziale Diagnostik basiert auf einer kooperativen Leistung, bei der Klient*innen und Professionelle unterschiedliche Positionen und Aufgaben haben. Es geht um eine multiperspektivische Einschätzung von komplexen Problemsituationen und um einen Prozess des Fallverstehens, der die Grundlage schafft für eine passgenaue fallspezifische Unterstützung.
Die Frage nach dem Verhältnis von Professionellen und Klient*innen im diagnostischen Prozess – nach ihrem Beitrag, den Zuständigkeiten und dem Zusammenspiel – wird je nach professionellem Selbstverständnis unterschiedlich beantwortet. Aktuelle diagnostische Konzepte lassen sich diesbezüglich einordnen auf einem Kontinuum zwischen Expert*innen-Diagnostik und Ownership der Klient*innen, was in einem kurzen Streiflicht illustriert werden soll.
Die Gestaltung der Kooperation (zwischen Sozialarbeiter*in und Klient*in, zwischen den verschiedenen beteiligten Berufsgruppen und Professionen) ist der Dreh- und Angelpunkt bei Kooperativer Prozessgestaltung, einem methodenintegrativen, generalistischen Handlungskonzept für die Soziale Arbeit. Anhand dieses Konzepts wird ausgeführt, wie das Zusammenspiel von Sozialarbeiter*innen und Klient*innen im diagnostischen Prozess so konzipiert werden kann, dass Rahmenbedingungen und Konstellationen in verschiedenen Arbeitsfeldern ebenso berücksichtigt werden wie die Werte der Profession. Auf diese Weise sollen die Prinzipien einer kooperativen Diagnostik herausgearbeitet werden, mit dem Fokus auf Aufgaben und Verantwortung der Sozialarbeiter*innen.
Prof. Dr. Ursula Hochuli Freund ist Dozentin am Institut Professionsforschung und -entwicklung an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW (Schweiz)
Verena Klomann & Barbara Schermaier-Stöckl – Professionelle Einschätzungsprozesse im Kinderschutz zwischen Wunsch und Wirklichkeit?
Im Rahmen unseres Vortrages werden empirische Befunde aus einem aktuellen Forschungsprojekt vorgestellt und diskutiert. Diese geben einen Einblick, wie innerhalb ausgewählter Jugendämter Einschätzungs- und Diagnostikprozesse im Kinderschutzkontext verfahrenstechnisch gestaltet werden, inwiefern diese Verfahrensregelungen den Professionellen bekannt sind und realisiert werden. Darüber hinaus wird den Fragen nachgegangen, welche Relevanz sozialarbeiterische Perspektiven und Begründungen in diesem Prozess haben und welche typischen Herausforderungen sichtbar werden. Hierauf aufbauend sollen gemeinsam Entwicklungsperspektive diskutiert werden.
Prof. Dr. Verena Klomann ist Professorin für Theorien und Konzepte Sozialer Arbeit an der KatHo NRW, Abteilung Aachen, Fachbereich Sozialwesen
Prof. Dr. Barbara Schermaier-Stöckl ist Professorin für Zivil-, Familienrecht und Kinder- und Jugendhilferecht an der Katholischen Hochschule NRW, Abteilung Aachen, Fachbereich Sozialwesen
Manuela Brandstetter – Die Diagnose des Sozialen in der Gegenwartsgesellschaft – Gestaltungsrezepte und Good Practices?
Eine Frage, die Studierende, PraktikerInnen und Forschende der Sozialen Arbeit in den vergangenen Dekaden zunehmend beschäftigt, richtet sich an Benachteiligungsprozesse bzw. die mit diesen einhergehenden „Spaltungsdiskurse“ (Lessenich/Nullmeier 2002): Wie ist es denkbar, dass Personen, die von sozialen Problemen selbst vielfach am härtesten betroffen sind, solchen Denkschulen und „Bewegungen“ zulaufen, die im Grunde genommen ihre unmittelbaren Bezugsrechte und Ansprüche am vehementesten zurückweisen? Welcher Befund der gesellschaftlichen Verfasstheit der späten Moderne lässt sich dazu formulieren und wie kann Soziale Arbeit hier deutend beschreiben? Welche Gestaltungsräume stehen Sozialer Arbeit dabei zur Verfügung und wie tritt sie dazu auf?
In diesem Workshop nehmen wir typisch spät moderne Redeweisen und Spaltungstendenzen sozialdiagnostisch in den Blick. Entlang ausgewählter sozialtheoretischer Parameter (Deutungsmusteranalyse nach Joe Reichertz 2015) arbeiten wir heraus, wie Soziale Arbeit – unter den herrschenden Bedingungen – gestaltend Einfluss nehmen kann und könnte.
Dabei werden von der Workshopleiterin zumindest zwei empirisch beforschte gegenwartsbezogene Beispiele (1. Arbeitslosigkeit Jugendlicher – Ausbildungspflicht; 2. Geflüchtete – Inklusion oder Integration in Neudörfl/Bgld.) von „Gesellschaftsdiagnose und Abhilfe“ vorgestellt. Im Workshop wird dann in einem weiteren Schritt zu Single-Cases der TeilnehmerInnen gearbeitet und mithilfe eines offenen Bildungsbegriffs Gestaltungsrezepte (Weick 1983) der Einflussnahme entwickelt, ist ja Lernen (im Sinne von offener Bildung) nicht auf Subjekte bzw. einzelne OrganisationsteilnehmerInnen beschränkt sondern bezieht sich für gewöhnlich auf Kollektive (bspw die Fachcommunity der Sozialen Arbeit) als Gesamtheiten.
FH-Prof. Mag. Dr. Manuela Brandstetter, Privatdozentin lehrt an der Fachhochschule Burgenland
Joseph Richter-Mackenstein – Zur Güte eines Netzwerkdiagnostikums – Evaluation des softwarebasierten Netzwerkdiagnostikums easyNWK
easyNWK ist ein Diagnostikinstrument Sozialer Arbeit, welches in erster Linie quantifizierte Aussagen über psycho-soziale Netzwerke von Menschen ermöglicht (Pantuček, 2012). In einem aus vier Quadranten (Familie, prof. HelferInnen, KollegInnen und FreundInnen) bestehenden Koordinatensystem werden hierzu Personen in Beziehung untereinander und zur Untersuchungsperson gesetzt und in Nähe-Distanz-Verhältnissen abgebildet (über drei Horizonte).
Neben Augenscheinanalysen der Netzwerke werden quantifizierte Analysen über die Größe von Netzwerken (u.a. quadrantenspezifisch), über deren Dichte (u.a. nach Quadranten und Horizonten), Beziehungsgewichte und einige andere Kenngrößen möglich, welche Aussagen u.a. über psychosoziale Partizipation, psychosoziale Inklusion sowie (indirekt) über psychosoziale Hilfebedürftigkeit und qualitative Veränderungsnotwendigkeiten psychosozialer Netzwerke ermöglichen sollen.
In mehreren Studie wurde über die letzten vier Jahre untersucht ob und inwieweit sich Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne psychosoziale Hilfebedürftigkeit (u.a. Hilfen zur Erziehung, Beratung und/oder Psychotherapie) über Netzwerkkarten und deren quantitativen Kennwerten abbilden lassen. Darüber hinaus wurde nach statistischen Verteilungseigenschaften einzelner Kennwerte allgemein und differenziert nach Alter und Geschlecht geschaut. Die doch mitunter recht überraschenden Ergebnisse sollen vorgestellt und diskutiert werden.